Christian Frommert – Charismatisch, ehrlich, perfektionistisch, achtsam, freundlich, bedacht, clever, diszipliniert, solidarisch, echt und über jede Menge Lebenserfahrung verfügend. So würde ich Christian beschreiben.

Bekanntgeworden ist mir Christian durch den Radsport. Kontakt zu ihm gesucht habe ich allerdings etwas später, nämlich als er mit seiner Leidensgeschichte, der Magersucht, an die Öffentlichkeit ging. Sein Buch, welches persönlicher und schonungslos offener nicht sein könnte mit dem Titel “Dann iss halt was”, hat Christian mir mit einer persönlichen Widmung zukommen lassen. Es gibt auf der Welt Milliarden Menschen, viele sind gleich, manche sind gleicher und Christian ist Christian, und genau deshalb schätze ich ihn.

Lieber Christian,

vor rund 10 Jahren hatten wir den letzten persönlichen Kontakt, um so mehr freut es mich, dass sich unsere Wege erneut gekreuzt haben. Im Vorgespräch sagtest Du mir, dass es Dir gut geht.

Frage: Wie geht es Dir wirklich und wie kommst Du mit der derzeitigen Situation zurecht?

Antwort: Die aktuelle Situation ist für alle enorm herausfordernd. Ich beobachte sehr aufmerksam, die verschiedenen Strömungen in unserer Gesellschaft und versuche daraus für mich selbst und natürlich auch für meinen Beruf Lehren zu ziehen, Erkenntnisse reifen zu lassen. Ich persönlich komme mit den Einschränkungen gut zurecht, bin allerdings auch in einer privilegierten Position. Ich lebe alleine, mir mangelt es an nichts. Meiner Familie geht es gut und da ich mich beruflich im Umfeld des Profifußballs bewege, genieße ich auch hier Vorteile, die anderen Branchen nicht zuteilwerden. Einige Entwicklungen sehe ich dabei durchaus kritisch und mir ist es auch wichtig, in diesen außergewöhnlichen Zeiten Solidarität mit denen zu zeigen, die unter dieser Situation zu leiden haben.

Frage: 10 Jahre sind eine lange Zeit. Die Zustände, welche dazu führten, dass wir uns kennenlernten, waren für uns beide keineswegs erfreulich. Glücklicher Weise haben wir diese Zeit hinter uns. Wie gehst Du heute mit Deiner „Anna“, wie Du sie nennst um und welche Einschränkungen hast Du durch sie? Vielleicht kannst Du meinen Lesern auch noch in zwei drei Sätzen erklären, wer „Anna“ ist.

Antwort: Das Thema Magersucht und ihre Auswirkungen ist nicht mal eben in zwei, drei Sätzen zu erklären. Genau das ist das Problem. Viele Menschen sehen diese schwere psychosomatische Krankheit eher als Kleinmädchen-Spleen und nicht als todbringende Sucht. Ich habe meine Magersucht überstanden, essgestört werde ich mein Leben lang bleiben. Ich habe noch immer kein entspanntes Verhältnis zum Thema Essen. Alles ist ritualisiert. Ich gönne mir aber mehr Freiräume als früher. Ein gewisser Zwang zum Sporttreiben ist geblieben. Viele Magersüchtige geben ihrer Sucht einen Namen, weil sie sich ganz von ihr leiten lassen, mit ihr eine Beziehung eingehen. Eine auf Leben und Tod.

Frage: Ich möchte nun aber nicht länger bei diesem Thema bleiben, sondern viel lieber würde ich über meine Leidenschaft, dem Radsport sprechen.

Du warst damals der Sprecher des wohl bekanntesten Radsportteams, dem T-Mobile Team. Was muss man sich genau darunter vorstellen und wie bist Du überhaupt zu dieser Aufgabe gekommen?

Antwort: Ich war nie Sprecher des T-Mobile-Teams. Das war Luuc Eisenga. Ich war bei T-Mobile International für die Kommunikation der Sponsoringaktivitäten verantwortlich. Das reichte von der Musik, über Fußball bis hin zum Radsport. Zuvor war ich 15 Jahre lang in verschiedenen Positionen als Journalist bei der Frankfurter Rundschau. Zunächst im Sport, später in der Wirtschaft. Dabei war ich auch für das Themengebiet Kommunikation und also für die Deutsche Telekom zuständig. So entstand der Kontakt. Als die Telekom für die besagte Position eine Neubesetzung suchte, hat man sich wohl auch aufgrund meiner beruflichen Vita und der Erfahrungen in Sport und Wirtschaft meiner erinnert. Ich war dann für die Kommunikation, mithin also der Darstellung aller Engagements nach innen und außen verantwortlich. Dabei geht es natürlich einerseits um die Imagepflege, aber eben auch um das Senden von Botschaften. Sponsoring ist kein Selbstzweck. Unternehmen verfolgen mit ihren Engagements verschiedene Ziele. Diese müssen formuliert und transportiert werden. Das geschieht auf ganz verschiedenen Wegen, analog wie digital, mündlich wie schriftlich, audiovisuell – die ganze Palette eben. Und in Krisenzeiten gilt es natürlich Schaden vom Unternehmen abzuwenden. Und Doping, beziehungsweise Betrug in einem der prominentesten Engagements im Sport, rund um einen der prominentesten Protagonisten dieses Sports, ist der GAU.

Frage: Im damaligen T-Mobile Team waren Fahrer wie Jan Ullrich, Erik Zabel, Rolf Aldag. Wie hast Du die Jungs damals erlebt oder anders gefragt, welche Erinnerungen hast Du an die Jungs?

Antwort: Wenn ich jetzt sagen würde: positive, dann wäre das ein wunderbarer Scoop und fände Eingang in jede Zitatensammlung. Aber auch im Bewusstsein dessen, was damals ablief und was auch durch die konsequente Haltung des Sponsors aufgedeckt wurde, gilt es zu unterscheiden zwischen den Menschen, die man bei seiner Arbeit kennenlernen durfte und das, womit sie ihre sportliche Karriere beförderten. Das eine ist verwerflich und abzulehnen. Aber wie sie auf mich zugekommen sind, mit mir gearbeitet und mich behandelt haben, davon kann ich nur in höchsten Tönen reden. Bodenständig, interessiert, kooperativ, herzlich – es war eine angenehme Zusammenarbeit. Auch in der Krise. In deren Verlängerung gab es dann weniger erfreuliche Entwicklungen. Einige haben die Krise als Chance genutzt, andere sperrten sich. Mir steht es nicht zu, zu richten und ob das freier Wille war oder gesteuert wurde. Jeder ist damit so umgegangen, wie er glaubte, damit umgehen zu müssen. Das habe ich respektiert. Ich habe noch heute zu einigen Fahrern von damals einen guten Kontakt, das Thema Radsport spielt dabei aber kaum noch eine Rolle.

Frage: Ich weiß nicht ob es tatsächlich so war aber ich könnte es mir vorstellen. Du hattest die schwere Aufgabe, mit unserem von Millionen Radsportfans geliebten Jan Ullrich 2006 vor die Kamera zu treten und seine Suspendierung, aufgrund von Dopingvorwürfen, zu verkünden. Wie hast Du das Ganze damals erlebt?

Antwort: Das ist zu komplex, um es nach 15 Jahren in eine banale Antwort zu verpacken. Es ist eine Mischung aus professionellem Funktionieren, aus unternehmerischen Notwendigkeiten, eigenen Überzeugungen und Emotionen, die man natürlich nicht wegschieben kann. Dabei geht es um Menschen, um Enttäuschungen, um Hoffnungen. Ich konnte mir das Ganze lange nicht vorstellen, habe mich dann aber den Tatsachen auch nicht versperrt und bin noch heute davon überzeugt, dass es der einzige richtige Weg war, offen, transparent und offensiv mit diesem Betrug umzugehen. Das waren teilweise bittere Stunden und Tage. Aber das gehört eben dazu.

Frage: Wie ich in einem Interview von Dir hörte, hast Du Jan doch recht gemocht, weil er ein hochanständiger und auf dem Boden gebliebener Mensch war. Leider hat es Jan nicht immer leicht gehabt und sein Absturz vor 2 Jahren, hat nicht nur mir im Herzen weh getan. War es für Dich eine „logische“ Konsequenz und eine Frage der Zeit bis es passiert?

Antwort: Mir steht es nicht zu, Jan zu beurteilen, zumal in Zeiten, in denen ich keinen Kontakt mehr zu ihm hatte. In der Zeit, in der wir zusammengearbeitet haben, habe ich ihn als fairen, bodenständigen und harmoniebedürftigen Menschen kennengelernt. Es war immer extrem in all dem, was er gemacht hat. Deshalb ja verlief seine Karrieren in diesen Kurven. Jan war sehr offen, loyal und gutmütig. Eigenschaften, die auch mal falsche Freunde anlocken können.

Frage: Wir wissen ja alle, welche Erwartungen und welcher Druck auf Sportprofis lastet, um die Erwartungen des Teams, der Berater aber vor allem der Sponsoren zu erfüllen. Kannst Du es deshalb verstehen oder besser gesagt nachvollziehen, dass manche diesem Druck nicht gewachsen sind und deshalb zu leistungssteigernden Mitteln greifen?

Antwort: Das klingt wie eine Entschuldigung. Das ist ein Grund, der immer wieder gerne genannt wird, aber die Verantwortung an andere weiterschiebt. Natürlich gibt es eine Gemengelage aus Abhängigkeiten, Hoffnungen, Wünschen, Forderungen und Ansprüchen. Aber das weiß man ja vorher. Wenn man dem nicht gewachsen ist, muss man ehrlich zu sich selbst sein und dann entsprechend die Konsequenzen ziehen. Sich und andere zu betrügen kann nicht die Lösung sein. Auch andere Menschen haben in ihrem Leben Druck auszuhalten. Wir sprachen eingangs von der aktuellen Lage. So viele Menschen stehen gerade vor existenziellen Nöten. Da versucht ja auch keiner mit Verweis auf die Pandemie perfide Betrügereien zu legitimieren.

Frage: Meinst Du, wir als Zuschauer, könnten dazu beitragen, den Profis eine gewisse Last abzunehmen, indem wir unsere Erwartungshaltungen herunter schrauben und eben nicht übermenschliche Leistungen von ihnen erwarten?

Antwort: Absolut. Aber das ist illusorisch. Dabei habe ich weniger die Zuschauer und Fans im Blick. Die wissen oft sehr genau zu differenzieren und gehen meist sensibel mit den Sportlern um. Zwar haben die so genannten Sozialen Medien auch hier die Tonlage verschärft, aber das sind oft nicht die Stimmen der echten Fans. Denn zu Wort melden sich meist nur die, die krakeelen wollen und einen Ort und einen Weg finden, ihre eigene Unzufriedenheit zu kanalisieren. Nein, es ist eine bestimmte Gattung von Medien, die immer wieder diese Erwartungshaltung anheizt, die erhöht und erniedrigt, lobt und verteufelt und das alles binnen weniger Tage.

Frage: Seit 2013 bist Du als Direktor für Kommunikation und Medien beim Fußball-Bundesligisten TSG Hoffenheim tätig. Du hast also die Sportart gewechselt. Ich gehe davon aus, dass Du Deinen Job beim TSG liebst. Würdest Du aus heutiger Sicht, bei einem guten Angebot, noch einmal zum Radsport zurückkehren?

Antwort: Nein. Letztlich war ich ja auch nie ,im Radsport‘. Ich war in einem Unternehmen unter anderem für die Kommunikation des Radsport-Sponsoring verantwortlich.

Frage: Welches war Dein schönstes und emotionalstes Erlebnis damals im Radsport?

Antwort: Die vielen Reisen, das Neuland, das ich anfänglich betreten habe, vor allem die Tour de France – das alles war aufregend und spannend. Im Nachhinein war das ja aber alles eine Scheinwelt. Deshalb fällt es mir schwer von ,schönen‘ Erlebnissen zu sprechen. Emotional war meine Zeit bei T-Mobile in Gänze. Das begann mit der meiner ersten Tour, bei der Jan Ullrich unmittelbar vor dem Start beim Training durch das Heckfenster eines Begleitfahrzeugs stürzte und endete mit dem Ausstieg 2008.

Frage: Pflegst Du eigentlich noch Kontakte zu dem Ein oder Anderen aus dem professionellen Radsport und wenn ja, mit wem?

Antwort: Ich habe noch mit einigen Kontakt. Den intensivsten mit Andreas Klier und Rolf Aldag.

Frage: Ich möchte nun zum Ende des Interviews kommen und habe deshalb eine letzte Frage an Dich. Aufgrund Deines bewegten, sowie mit vielen Höhen und Tiefen geprägten Leben möchte ich Dich fragen, welche Lebensweisheit möchtest Du meinen Lesern mit auf den Weg geben?

Antwort: Ich halte nicht viel von Weisheiten und schlauen Sprüchen. Jeder muss seine eigenen Erfahrungen machen und seine individuellen Lösungen finden. Lebensentwürfe sind zu unterschiedlich, um ihnen pauschal eine Binse überzustülpen. Ich persönlich habe Gefallen gefunden an dem Satz: Fange nie an aufzuhören, höre nie auf anzufangen.

Vielen Dank für das Interview. Ich wünsche Dir weiterhin alles Gute, allen voran Gesundheit und beruflichen Erfolg.