Marcel Sieberg – 38 Jahre, Radprofi im Team Bahrain. 

Wie geht es Dir?

Antwort: Ja, mir geht es eigentlich ganz gut. Ich freu mich, dass es jetzt endlich mit den Rennen losgeht, der Winter war lang genug. Ja, ich sollte ja erst bei der Provonce Rundfahrt vor zwei Wochen anfangen mit der Saison aber dadurch, dass sie jetzt das eine oder andere Rennen abgesagt haben, hat sich das Team etwas in der Provonce Rundfahrt geändert und somit wurden, ich glaube die Hälfte der Fahrer ausgewechselt und somit habe ich jetzt erst am Wochenende mein Saisondebüt. Ich hätte mir natürlich gewünscht ein bisschen eher zu starten, weil der Winter war eigentlich ganz gut, bin gesund geblieben, was natürlich erstmal wichtig ist in der Zeit, habe gut trainiert und ja, wenn alles stimmt, will man ja auch raus und endlich Rennen fahren, dafür macht man ja den Sport.

Frage: Ich kann mich noch sehr gut daran erinnern als Du das letzte Mal in meiner Heimat rund um Dresden, mit der Sachsentour zu Gast warst. Das war 2008. Da bist Du noch für Highroad gefahren. Inzwischen ist jede Menge Zeit vergangen und Du hast schon mehrmals das Team gewechselt. In welchem Team hast Du Dich bisher am wohlsten gefühlt?

Antwort: Ja was heißt mehrmals das Team gewechselt?! So oft wars gar nicht, klar haben sich die Namen bisschen verändert, was auf dem Papier aussieht wie ein anderes Team. Ich muss sagen, die 8 Jahre bei Lotto waren schon sehr cool, weil da war damals eine Truppe um uns herum, die sehr speziell war. Wir waren immer 6 – 7 Mann, immer mit der gleichen Truppe unterwegs von Rennen zu Rennen. Wir sind ja dann nicht alle gleichzeitig von T-Mobile gegangen und André war es wichtig, dass er eine homogene Truppe um sich hat. Ja, und wir hatten in der Zeit auch die größten Erfolge. André hat da sehr viele Rennen gewonnen. Und wenn Du fragst, welches Team war am Besten, dann wurde ich schon sagen, dass die 8 Jahre bei Lotto die Erfolgreichsten waren. Und wohlgefühlt habe ich mich eigentlich in jedem Team, weil ich denke, dass ich ein Mensch bin, der mit fast jeden kann.

Frage: Nach welchen Kriterien hast Du immer entschieden, ein Team zu wechseln? Das natürlich auch Geld eine Rolle spielt ist klar aber da gibt es doch sicherlich auch noch andere Kriterien um an einem Wechsel Interesse zu haben oder?

Antwort: Das war so. Ich war ein Jahr beim Team Milram, habe bei Lamonta angefangen, dann bin ich zu Wiesenhof gegangen. Durch die Leistung bin ich zur ProTour gekommen. Beim Team Milram 2007, daß war auch ein schönes Team, halb deutsch, halb italienisch hab ich dann schon recht früh ein Treffen mit Rolf Aldag und Jan Schaffrath gehabt und die wollten mich gerne haben, weil ich das Jahr davor beim Team Wiesenhof sehr gut mit Gerald Ciolek zusammengearbeitet habe für die Sprintvorbereitung und die haben einfach jemanden gesucht. Sie haben mich direkt kontaktiert, obwohl ich immer noch bis 2008 einen Vertrag bei Milram hatte. Ich hab dann gesagt ok, wurde ich gerne machen, weil ich mit Gerald sehr gut befreundet war und das hat dann auch am Jahresende so geklappt. Klar macht man von Jahr zu Jahr, wenn man immer besser fährt, kleine Gehaltssprünge, aber das war für mich nie der ausschlaggebende Punkt zu wechseln. Die drei Jahre bei Highroad waren auch drei sehr schöne Jahre aber dann kam die Frage, will man die Tour de France fahren? Ich bin ja mehr mit André Greipel vom ersten Jahr an gefahren als mit Gerald Ciolek. Ja dann haben wir 2011 eben überlegt, ok, wir wollen eigentlich Tour de France fahren. Wir hatten zu der Zeit den besten Sprinter der Welt im Team, Mark Cavendish und wenn wir die Tour fahren wollen, müssen wir das Team wechseln. Und dann ging der Weg nach Belgien zu Lotto, mit dem Ziel die Tour de France zu fahren. Und wie man gesehen hat, war das die richtige Entscheidung. André hat dann glaube ich jedes Jahr mindestens eine Etappe gewonnen.

Vor zwei Jahren war dann ein kleiner Umbruch bei Lotto, die hatten einen neuen Chef und der wollte das Team umkrempeln. Daraufhin wurde mir dann eben gesagt, dass ich keinen Vertrag mehr bekomme oder ich musste noch warten. Das war zwei Wochen vor der Tour de France. Da habe ich mich eben umgehört und bin dann über meinen Manager Christian Baumann in Verbindung mit Phil Bauhaus gekommen, der auch aus Bocholt kommt, und ich hatte Glück, dass die Position noch frei war, weil Phil recht früh mit Bahrain klar war und die noch einen Anfahrer gesucht haben. Mit André hat sich zu der Zeit, trotz Bemühungen nichts ergeben, wo wir hätten zusammen unterschreiben können. Das war natürlich nicht leicht aber wenn man eine Frau und zwei Kinder zuhause hat, dann will man das natürlich nicht verzocken und vielleicht am Ende mit leeren Händen dastehen. Nach 11 gemeinsamen Jahren mit André, war das natürlich alles andere als eine einfache die Entscheidung.

Frage: Im Team hast Du die Rolle des Helfers. Ich könnte mir vorstellen, dass man doch sicher auch gerne selbst gewinnen will oder? Die Anerkennung bekommt ja meist nur der Sieger.

Antwort: Ja ich sag mal so, man wächst natürlich so in seine Position rein. Beim Team Milram bin ich zum Beispiel mit Alessandro Petacchii gefahren, von daher war relativ schnell klar, welche Position ich habe. Fur mich war aber von Anfang an klar, dass wenn ich so Leader habe wie Alessandro Petacchi, dass ich mich dann 110 Prozent aufopfere und somit war ich immer bestrebt, dass ich das, was das Team fordert, auch immer umsetze.
Klar hätte man sich hier und da mal gefreut, wenn man selbst gewonnen hätte aber wenn man dann beispielsweise bei der Deutschen Meisterschaft 100 Meter vorm Ziel eingeholt wird und dann trotzdem André gewinnt, dann fuhlt sich das auch an als hätte man selbst gewonnen. Und André war auch immer einer der gesagt hat, „Ok, ich hab jetzt eine Prämie und die zahle ich jetzt an Euch!“. Und nochmal zurück Zum Teamwechsel, André war auch immer einer, der gesagt hat, ich fuhl mich hier wohl, hier bleib ich und er hat dann auch nicht auf jeden Euro geachtet und er hat nie die Truppe alleine gelassen, obwohl er hätte zum Beispiel bei anderen Teams viel mehr verdient.
Und jetzt in meinem Alter, da kommt es halt nicht mehr so vor, wo ich mir sage, ich musste da nochmal gewinnen.

Frage: Bleiben wir noch kurz beim Thema. Kein Sieger ohne Helfer. Welche Eigenschaften sollte ein Helfer unbedingt mitbringen, um seiner Rolle gerecht werden zu können?

Antwort: Ja, man muss sich natürlich bewusst sein, dass man genau so trainieren muss, wie Einer der dann ein Rennen gewinnt, also der Leader. Es ist ja nicht so, dass ich nur die Hälfte trainiert hab wie André, sondern eben immer trainiert habe wie einer der oben auf dem Podium steht. Man muss dafür gemacht sein, dass man sich 110 Prozent aufopfert für jemand Anderen. Es ist aber natürlich in meinem Fall ein großer Luxus, dass ich für meinen besten Freund knechten durfte, was natürlich sehr sehr viel aussagt. Und wie ich eben schon erwähnt habe mit den Erfolgen, daß macht dann natürlich die Quälerei etwas einfacher. Ich sag mal so, Typen wie Robert Wagner sind eben auch Typen wie ich, die kein Problem damit hatten oder haben, sich aufzuopfern.

Frage: Du bist für mich ein großer Sympathieträger in der Radsportszene, was man wahrlich nicht von jedem behaupten kann. Durch Deine Größe natürlich auch unübersehbar. Mit fast 39 Jahren zählst Du auch zu den erfahrensten Fahrern im Profiradsport. Genießt Du dadurch die nötige Anerkennung und den Respekt von jüngeren Fahrern oder hat sich das heutzutage schon geändert, weil die jüngere Generation ihren eigenen Kopf hat und diesen auch gerne durchsetzen will?

Antwort: Ja, es ist so und so. Ich merk das schon, der Altersdurchschnitt im Profifeld war glaub ich noch nie so jung wie jetzt. Zu meiner Zeit gab es das nicht, dass einer der 18 oder 19 Jahre alt ist, Profi geworden ist. Da ist natürlich schon ein Umschwung welchen ich merke. Wenn zum Beispiel dein Zimmerkollege 99iger oder 2000er Baujahr ist, da kommt man sich dann schon ziemlich alt vor, denn in der Zeit war ich damals schon Deutscher Meister bei den Junioren und er ist in diesem Jahr erst geboren. Klar, auf der einen Seite genieße ich natürlich, dass ich schon so viele Jahre auf dem Buckel habe und dadurch nicht mehr mit so viel Stress auf den Schultern rumreise. Alle zwei Jahre fährt man um einen neuen Vertrag und man weiß nicht, wie es weitergeht mit 24 oder 25 Jahren. Und somit gehe ich etwas entspannter rein aber natürlich nicht zu entspannt.
Viele, so vom Gefühl her, nehmen das auch wahr, dass man schon lange Profi ist und viel Erfahrung hat und vielleicht haben mich die Jungen schon vor 7 oder 8 Jahren bei der Tour de France gesehen und gesehen was ich kann aber auf der anderen Seite ganz klar, viel Respekt kann man damit nicht gewinnen. Zu meiner Zeit als ich noch jung war und dann die ganz Großen im Fernsehen gesehen habe und dann mit ihnen zusammen gefahren bin, vor denen hat man schon Respekt gehabt. Aber das hat sich auf jeden Fall geändert. Da kanns dann eben auch schon mal sein, dass Dir ein 20jähriger einen doofen Spruch an den Kopf haut, wo ich mir dann sage „Du, wenn ich das damals als Neoprofi gesagt hätte, weist Du was sie da mit mir gemacht hätten?“ Aber wir als heutige ältere Fahrer sind dann auch nicht so, dass wir jemanden auf den Deckel hauen, nicht so wie früher wie man so aus der einen oder anderen Storie von Mario Cipollini oder anderen hört.
Ich will natürlich nicht, dass die jungen Fahrer mir da Platz machen, auf keinsten Fall aber manchmal denkt man sich dann schon „Äh, ansonsten ist noch alles klar mit Dir oder?“.

Frage: Die Saison hat nun endlich begonnen. Bist Du gut vorbereitet beziehungsweise wie hast Du Dich in der Winterpause fur die kommende Saison vorbereitet?

Antwort: Ich habe mich eigentlich ganz normal vorbereitet wie immer, nur das ich durch die Covid-Situation jetzt nicht hier und dort mein Training absolviert habe. Jetzt vor zwei Wochen wo der Schnee lag, bin ich zuhause geblieben. Wenn man einfach alleine wegfährt, ist das so aufwendig zur Zeit, mit Covidtests, dann musst Du Ferienwohnungen finden, weil die Hotels ja meist zu haben, wo man sich dann auch selbst bekochen muss und noch einen Covidtest fur die Ruckreise braucht. Da hab ich mir gesagt, die Woche bekommst Du jetzt hier zuhause auch rum. Das hat sich ein bisschen verändert, eben durch die Covidsituation und nicht durch mein Alter aber ansonsten habe ich jetzt nichts anders gemacht als die Jahre zuvor.

Frage: Ab Samstag geht es für Dich nach Belgien zu Omloop Het Nieuwsblad, wenn ich richtig informiert bin. Was hast Du Dir oder besser gesagt, was habt Ihr Euch als Mannschaft vorgenommen? Ist ein Sieg in Aussicht?

Antwort: Ich selbst habe mir vorgenommen, dass ich eine gute Form habe. Das ist natürlich jetzt nicht ganz so einfach, ohne ein Rennen vorher bestritten zu haben, weil sonst hatte ich immer eine Rundfahrt davor. Aber ich denke mal die meisten Fahrer die Samstag am Start stehen werden, sind bestimmt so 5 oder 6 Rennen gefahren dieses Jahr und eben nicht so wie ich, der jetzt erst komplett neu einsteigt, von daher ist das jetzt erstmal so ein Sprung ins kalte Wasser. Womit ich eigentlich zufrieden wäre ist, dass es bei mir gut läuft, wo ich sagen kann ok, ich hab die Aufgaben die das Team an mich gestellt hat, gut erfullt.
Wir haben eine gute Mannschaft. Ich denke Heino, also Heinrich Haussler ist sehr motiviert nach seiner Crosssaison und mit Sonny Colbrelli haben wir einen, der solche Rennen auch sehr mag aber für ihn gilt das Gleiche wie für mich. Er kommt gerade erst aus dem Trainingslager und ist noch kein Rennen gefahren.
Ob es jetzt für einen Sieg reicht, da will ich jetzt nicht so hoch greifen. Ich sag mal so, wenn wir Einen unter die Top 5 bringen wurden, wäre ich schon sehr zufrieden. Wenn ich dann noch meine Sachen zusteuern kann und ich Sonntag nach Hause fahren kann, mit nem guten Gefühl, daß wäre natürlich sehr schön fürs erste Rennen.

Frage: Welche Ziele hast Du Dir für 2021 gesetzt? Es geht ja dieses Jahr auch um eine eventuelle Vertragsverlängerung.

Antwort: Meine Ziele sind es natürlich erst einmal die Klassiker gut zu fahren, auch, wenns nicht ganz einfach wird, weil selbst nach dem Opening Weekend habe ich noch keine Rundfahrten bestritten wie Paris Nizza oder Tirreno-Adriatico was eigentlich üblich ist. Somit werde ich aus dem Training die großen Klassiker bestreiten, was natürlich auch nicht ganz ideal ist und dazu auch komplett neu für mich ist. Aber ja, ich werds natürlich versuchen und hoffen, dass ich dann gute Beine habe.
Danach liegt natürlich das Augenmerk darauf, dass ich in der Sprintvorbereitung mit Phil Bauhaus meinen Job mache. Ziel ist einfach, dass ich Phil dazu helfe, noch ein besserer Sprinter zu werden und ein paar Erfolge einzufahren. Ja, daß wäre noch so ein Ziel für mich. Bezüglich des Vertrages ist es so, dass ich jetzt meinen ersten Einjahresvertrag in meinem Leben unterschrieben habe, natürlich auch durch mein Alter bedingt. Ich werde einfach das Jahr so angehen, dass es vielleicht mein Letztes sein kann.

Ich werde 39, wie wir schon mal besprochen haben. Die jungen Fahrer kommen halt einfach. Klar kann man immer erfahrene Fahrer gebrauchen aber was ich nicht haben möchte ist, dass ich im September auf einmal zu hören bekomme, dass ich raus bin und keinen Vertrag mehr bekomme. Was ich sehr schade finden wurde, wenn ich die Rennen vorher nicht so gesehen hätte als ob es mein letztes Jahr ist. Ich wurde es ebenfalls schade finden, wenn ich jetzt wie im Tunnel auf eine neue Vertragsverhandlung oder auf einen neuen Vertrag zufahren wurde und dann enttäuscht werden wurde. Somit habe ich fur mich entschlossen, dass ich sage ok, ich geb jetzt einfach das Beste was ich habe. Ich werde die Rennen genießen. E ist vielleicht mein letztes Paris Roubaix oder wie auch immer und wenn ich dann im Sommer mit dem Team spreche und sie sagen, weißte was, wir geben dir noch ein Jahr und ich hab da echt Lust drauf, dann freu ich mich, ansonsten wurde ich mich dann schon umgucken, was dann vielleicht nächstes Jahr gehen wurde.

Eine letzte Frage noch. Hast Du schon einen Plan nach Deinem Karriereende, auch wenn der hoffentlich noch in weiter Ferne liegt?

Antwort: Ich bin jetzt natürlich in einer Situation, wo man sich schon überlegen sollte, was man nach der Radsportkarriere tun möchte.
Klar, es gibt sicherlich Alternativen. Bei mir im Ort zum Beispiel, gibt es das größte Radsportgeschäft Deutschlands, vielleicht gibt es da Möglichkeiten. Der Vorteil wäre, dass alles vor Ort ist.

Wenn ich ganz raus aus dem Radsport wäre, ging mir mal durch den Kopf, vielleicht ein Café zu eröffnen, was natürlich jetzt mit der Coronazeit nicht das Idealste wäre, denn wenn das jetzt weiter so geht mit der Pandemie, ist es naturlich nicht das beste Standbein. 😉
Ich habe also, wenn ich ganz aus dem Radsport raus bin, schon so ein zwei Ideen aber eben noch nichts ganz Konkretes.
Etwas ganz Anderes was mich noch interessieren wurde, wäre die Architektur aber da bin ich wohl schon zu alt, um da nochmal ein Studium anzufangen.

Danke Siebi für Deine Zeit, alles Gute für die kommende Saison, unfallfreie Rennen und maximale Erfolge.