
Interview mit Thomas Ziegler
Vor einigen Tagen postete ich auf meinem Instagramkanal ein Foto mit Text über Jan Ullrich. Das bemerkte auch der ehemalige T-Mobile Profi Torsten Hiekmann. Da ich dies wiederum in meiner Storie postete, wurde auch Thomas Ziegler darauf aufmerksam. Netter Weise folgte er mir gleich auf Instagram, was mich natürlich sehr freute, kreuzten sich doch unsere Wege das letzte Mal als Thomas noch Radprofi war. Seitdem schreiben wir fast täglich auf Instagram und zugegebenermaßen löchere ich ihn auch manchmal über verschiedene Dinge aus seiner Profizeit. Was er heute macht, wie es ihm geht und viele Dinge mehr, dazu habe ich Thomas in einem Interview befragt. Im Grunde genommen fühlt es sich an als wäre nie Zeit vergangen und als wäre Thomas ein langjähriger Freund. Danke Thomas. Aber nun zum Interview…..
Wer damals Anfang der 2000er schon im Radsport dabei war, dem ist Thomas Ziegler noch ganz sicher ein Begriff.
Und für die Wenigen, denen Du womöglich nichts sagst, kannst Du Dich in ein paar Sätzen vorstellen?
Antwort: Hallo, ich bin Thomas, 40 Jahre alt und war bis Ende 2007 Radprofi. Als Amateur bin ich für das TEAG Team Köstritzer gefahren und habe 2002 die Bundesliga Gesamtwertung gewonnen, was mir den Weg zu den Profis geebnet hat. 2003 bin ich für das Team Wiesenhof gefahren, 2004 und 2005 für Team Gerolsteiner und ab 2006 bis zum Schluss für das T- Mobile Team. Seit meinem Rücktritt 2008 arbeite ich in diversen Positionen in der Fahrradbranche und zusätzlich von 2008 bis 2011 als sportlicher Leiter des Profiradrennens „Nacht von Hannover“ fungiert.
Frage: Die meisten der damaligen aber auch heutigen Profis im Radsport, sind schon im Kindesalter an den Radsport herangeführt worden, beispielsweise durch die Eltern. Wie bist Du eigentlich damals zum Radsport gekommen?
Antwort: Ich habe ab meinem 5. Lebensjahr Leistungssport betrieben. Erst 5 Jahre Schwimmen, dann 3 Jahre Karate. Mit 13 Jahren bin ich durch meinen Nachbarn zum Mountainbiketraining des RSV Adler Arnstadt (auch der Verein von Marcel Kittel) gekommen. Dort habe ich MTB Rennen bestritten und war von 1996-1999 in der MTB Nationalmannschaft. Zum ersten Straßentraining hat mich tatsächlich Marcel Kittels Vater 1995 überredet. 😊
1999 bin ich dann komplett auf die Straße gewechselt und habe mich dem damals besten U23 Team TEAG Köstritzer angeschlossen.
Frage: Wenn ich mich richtig erinnere, bist Du für vier Radsportteams gefahren. An welches erinnerst Du Dich am liebsten und warum?
Antwort: Ich hatte in allen Teams schöne und weniger schöne Momente. Bei Köstritzer waren wir eine eingeschworene, unbeschwerte Truppe von 18-22jährigen, die alle das Ziel Radprofi hatte.
Wiesenhof war ein guter Start in das harte Profigeschäft.
Bei Gerolsteiner hatte ich viele Premieren, das erste Mal Giro, Vuelta, Paris-Nizza, die Eintagesklassiker usw.
Und zu guter Letzt habe ich mit dem Vertrag bei T-Mobile meinen Kindheitstraum verwirklicht. 1997 hab ich als 16jähriger, im Fernsehen, Jan Ullrich die Tour gewinnen sehen. 9 Jahre später sein Teamkollege zu sein war damals etwas ganz Besonderes für mich und sicherlich auch für viele andere Radprofis.
Frage: Bei vier unterschiedlichen Teams zu fahren, bedarf natürlich auch jeder Menge Anpassungsfähigkeit. Welche waren die gravierendsten Unterschiede der jeweiligen Teams, an die Du Dich noch erinnern kannst?
Antwort: Team Köstritzer und Wiesenhof hatten kleine Budgets. Wir sind zu vielen Rennen mit dem Auto gefahren und nicht geflogen. Der Kader umfasste nur 12 Fahrer und wir sind immer nur ein Rennen bzw. Rundfahrt zur gleichen Zeit gefahren, Gerolsteiner oder T-Mobile haben teilweise an 3 verschiedenen Rennen zur gleichen Zeit mit unterschiedlichen Fahrern teilgenommen. Die Fahrer waren viel öfter zusammen und das ganze Team nicht so international.
Bei meinen beiden ProTour Teams waren 28-29 Fahrer, es war viel mehr Budget vorhanden, wir sind mehr Rennen gefahren und der Leistungsdruck war natürlich höher.
Aber genau da wollte ja jeder Radprofi hin und es war toll die großen Rennen mit unfassbar vielen Zuschauern zu bestreiten. Man hat auf einmal ständig im Flugzeug gesessen und es kam mir teilweise schon wie ein Jetset Leben vor.
Frage: Wenn Du heute an die Zeit im Profiradsport zurückdenkst, würdest Du Dich immer wieder für den Radsport entscheiden oder doch lieber ein normales Leben vorziehen?
Antwort: Ja, auf jeden Fall! Radprofi werden war mein Kindheitstraum. Ich habe dafür, seitdem ich Teenie war, gekämpft und mein Ziel erreicht. Der Sport hat mich geprägt und zu dem gemacht was ich heute bin. Ehrgeiz, unbedingter Wille, Teamfähigkeit, Teamführung aber auch Rückschläge und Unterordnung lernt man durch Sport, besonders aber im Profigeschäft. All diese Eigenschaften haben mir im späteren Leben sehr genützt und ich profitiere auch heute noch in meinem beruflichen und privaten Leben davon. Nicht zu guter Letzt bin ich selbst im späteren Berufsleben, durch den Profisport, in der Fahrradindustrie gelandet und dadurch weiterhin irgendwie mit meinem früheren Hobby/Beruf verbunden. Somit habe ich schon immer meinen Lebensunterhalt mit Jobs verdient, die mir großen Spaß machen und die Produkte auch gleichzeitig mit meinem Hobby zu tun haben. Ich denke dies ist ein großes Privileg.
Frage: Wie ich so mitbekommen habe, hast Du ja bis heute noch Kontakt zu einigen Deiner damaligen Teamkollegen beispielsweise Schreckus. Zu wem hättest Du heute noch gerne Kontakt von damals oder anders gefragt, gibt es jemanden, wo Du gerne wüsstest, wie es ihm heute geht?
Antwort: Nachdem ich Ende 2007 mein Rad an den Nagel gehängt habe, hat sich relativ schnell herauskristallisiert was richtige Freundschaften und was nur berufliche Zweckgemeinschaften waren.
Seitdem habe ich zu circa 10 Ex-Kollegen regelmäßigen Kontakt und weiß wie es Ihnen geht und was sie machen.
Neben Stephan Schreck, mit dem ich wahrscheinlich mindestens alle 2 Wochen kontakt habe, würde ich gerne Enrico Poitschke mal wieder treffen. Er war von 1999 an eine Art väterlicher Freund für mich. Nach meinem Umstieg vom MTB auf die Straße habe ich von Ihm, gerade in den ersten beiden Köstritzer Jahren, viel über Renntaktik und Fahren im Feld gelernt. Später waren wir, trotz verschiedener Teams, auch mehrfach zusammen im Trainingslager.
Frage: Mich interessiert aber nicht nur die Vergangenheit, vielmehr interessiert mich die Gegenwart. Was machst Du eigentlich heute, nachdem Du nun mittlerweile vor 13 Jahren Deine aktive Radsportkarriere beendet hast?
Antwort: Ich lebe in Arnstadt und Hanau zu circa den gleichen Teilen. Habe bis Ende 2010 Anteile an einem Radsportgeschäft gehabt, Danach als Vertriebsleiter Deutschland für einen Fahrradhersteller und im Vertrieb eines Fahrradgroßhandels gearbeitet. Seit 3,5 Jahren arbeite ich für das norwegische Unternehmen Hamax (www.hamax.com) und führe die Geschäfte in Deutschland. Ich habe damals allein angefangen den Standort komplett neu zu gründen und aufzubauen. Mittlerweile sind wir ein kleines Team aus Außen-und Innendienst, sowie Marketingmitarbeitern. Wir haben in der Zeit den Stiftung Warentestsieg bei Kinderfahrradsitzen gefeiert und sind mittlerweile Marktführer in diesem Bereich in Deutschland. Unsere Kinderfahrradanhänger legen auch enorm zu. Mir macht die Arbeit unheimlich Spaß und ich fühle mich im skandinavischen Unternehmen wohl und angekommen. Jedes Mal wenn ich irgendwo einen Kindersitz oder Anhänger von uns in „frier Wildbahn“ sehe bin ich auch ein wenig stolz weil man jeden einzelnen Schritt bis dahin selbst mitgestaltet hat.
Frage: Da Du dem Radsport noch immer verbunden bist, wenn auch nicht dem Straßenradsport, findest Du, dass man den Radsport von heute mit dem Radsport von damals noch vergleichen kann, unabhängig von der Weiterentwicklung des Materials?
Antwort: Das ist für mich schwer zu beurteilen. Von außen wirkt es, als wenn die heutige Generation noch disziplinierter an sich arbeitet und in gewisser Weise wirkt alles „steifer“. Ich bin mal heimlich mit Heinrich Haussler bei der Vuelta Espana 2005 nach der 9. Etappe bis früh um 4 Uhr in Disco neben dem Hotel. Am nächsten Tag war ein 50 km langes Einzelzeitfahren. Ich glaube so etwas gibt es heutzutage nicht mehr. Vielleicht täusche ich mich aber.
Frage: Aufgrund Deiner Erfahrung, würdest Du der heutigen Jugend noch empfehlen, ebenfalls eine Karriere im Radsport zu starten, wenn sich ihnen die Chance bietet?
Antwort: Ja, natürlich. Ich denke man sollte immer dem hinterher eifern, wofür man brennt und es mit Leidenschaft macht, egal welcher Sport, Musik oder Kunst. Mein Vater ist viel zu jung gestorben und dies hat bei mir zu der Denkweise geführt das keiner weiß wie viel Zeit er auf dieser Welt hat und dass man immer versuchen sollte Träume und Wünsche zu erreichen und so zu leben das man glücklich ist. Falls dieses Glück eine Karriere im Sport ist, dann los!
Alles auf später oder irgendwann zu verschieben führt nur dazu, dass man es wahrscheinlich niemals erreicht.
Frage: Was würdest Du aus heutiger Sicht im Radsport sofort ändern, wenn Du es könntest?
Antwort: Ich würde die Teams in die Verantwortung nehmen, dass sie entweder nur Rennfaher mit Ausbildung bzw. Studium einen Vertrag geben oder ein „Ausbildungsgehalt“ für 3 Jahre nach der Karriere für die Integration ins normale Berufsleben zahlen. Meinetwegen könnte dies auch durch einen Font der UCI geregelt sein, in den man von Beginn der Profilaufbahn einzahlen muss. Junge Rennfahrer entscheiden sich, zu Gunsten des Radsports, gegen eine normale Ausbildung und stehen am Ende, mit 37, 38 Jahren da wie ein 18jähriger und haben teilweise sehr begrenzte Möglichkeiten auf dem Arbeitsmarkt. Der finanzielle Ruin ist da bei dem ein oder anderen vorprogramiert.
Außerdem sollten die Rennveranstalter bei den Etappenlängen und Höhenmetern eingebremst werden.
260 km Flachetappen führen zum gleichen Sprintergebnis wie 180 km Etappen. Oder Kopfsteinpflasterabschnitte über Straßen, die bei Flut im Meer liegen und nur bei Ebbe befahrbar sind (Tour de France), sollten indiskutabel sein. Die Bespiele könnte ich endlos fortführen.
Vermeintlich spektakuläre Abfahrten, extrem viele oder steile Berge, oder eben extreme Etappenlängen machen ein Rennen oftmals nicht interessanter, sondern führen dazu das die Fahrer defensiver sind und die Etappen eher langweiliger vom Rennverlauf gestaltet werden. Oder so viele Bergetappen wie bei der Vuelta 2020
Lieber Thomas, ich danke Dir sehr für Deine Zeit und wünsche Dir privat, sowie auch beruflich, weiterhin alles Gute.